Die
geplante Osterweiterung der Europäischen Union
Wirtschaftlich
sinnvoll oder Risiko?
im
April 1999
1. Einführung
2. Historischer
Exkurs
3. Die Herausforderung
der Erweiterung
4. Heranführungsstrategie
und Instrumentarium der Osterweiterung
4.1 Das
PHARE Programm und Europa-Abkommen
4.2 Die "Kopenhagener
Kriterien"
4.3 Die Agenda
2000
5. Die "Warteschlange"
und der Status quo der Beitrittskandidaten
6. Gesamtwirtschaftliche
Auswirkungen
6.1 Potentielle
Wirtschaftliche Vorteile
6.2 Problembereiche
und Risiken
7. Konsequenzen und
Schlußfolgerung zur EU-Osterweiterung
Literaturverzeichnis
1. Einführung
Wirtschaftlich stellt die
Osterweiterung der Europäischen Union eine einmalige Chance dar,
sowohl für die beitretenden Länder als auch für die Europäische
Union in ihrer Gesamtheit. Die Einbeziehung der mittel- und osteuropäischen
Länder (MOEL) in die politischen und wirtschaftlichen Strukturen
Europas leistet einen wesentlichen Beitrag zur langfristigen Stabilitätssicherung
dieser Region. Auch und vorallem auf wirtschaftlichem Gebiet werden
bedeutende Nutzeffekte erwartet, doch werden auch Probleme bewältigt
werden müssen, die mit den Anpassungsbelastungen zusammenhängen,
zumal die beitretenden Länder im Vergleich zur Europäischen
Union (EU) einen niedrigeren wirtschaftlichen Entwicklungsstand haben.
Auch zwischen der Beitrittskandidaten herrschen starke Unterschiede
in der Wirtschaftskraft, die überwunden werden müssen und
der Übergang zur Marktwirtschaft ist in einigen der Länder
noch nicht abgeschlossen.
Der Europäische Rat
beschloß im Juni 1993 in Kopenhagen, daß die assoziierten
mittel- und osteuropäischen Länder, die dies wünschen,
Mitglieder der Europäischen Union werden können. Gleichzeitig
stellte er fest, daß ein Beitritt erfolgen kann, sobald ein assoziiertes
Land in der Lage ist, den mit einer Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen
nachzukommen und die erforderlichen wirtschaftlichen und politischen
Bedingungen zu erfüllen. Auch die Fähigkeit der Europäischen
Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft
der europäischen Integration zu erhalten, ist ein sowohl für
die Europäische Union als auch für die Beitrittskandidaten
wichtiger Gesichtspunkt. Seither haben nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes
und dem Umbruch in Osten Europas 13 assoziierten mittel- und osteuropäischen
Länder die Mitgliedschaft beantragt. Elf Staaten:
Estland
Polen
Slowenien
Tschechische Republik
Ungarn und
Zypern sowie
Bulgarien
Lettland
Litauen
Rumänien und die
Slowakei
stehen bereits in Verhandlungen
mit der EU oder es werden Vorbereitungen hierzu getroffen. Eine wahrscheinlich
26 Länder umfassenden Europäischen Union mit 100 Millionen neuer
Unionsbürger sind die neuen Konturen der EU. Das kumulierte Bruttoinlandsprodukt
der zehn mittel- und osteuropäischen Staaten beträgt gegenwärtig
rund vier Prozent desjenigen der EU und entspricht damit etwa dem der
Niederlande. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei nur rund
30 % des EU-Durchschnitts.
Allein schon dieser kurze
Überblick über die Makroökonomischen Vorgaben wirft die
Frage auf: Ist eine Osterweiterung wirtschaftlich sinnvoll oder überwiegen
die Risiken. Die in der überwiegenden Zahl zu findende Meinung
in der Literatur ist jedoch, daß das historische Ziel eines wirtschaftlich
vereinten Europas und einer stärkeren, erweiterten Union die zu
erwartenden Risiken wert sein sollte
.
2. Historischer
Exkurs
Die Offenheit für die
Beitrittswünsche anderer europäische Länder war von Anfang
an ein Grundprinzip der Gemeinschaft. Im heutigen Artikel O (künftig
Art. 49) des Vertrages über die Europäische Union heißte
es: "Jeder europäische Staat, der die Grundsätze der Freiheit,
der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie
der Rechtsstaatlichkeit achtet, kann beantragen, Mitglied der Union
zu werden. (...)"
Auf die Nachbarstaaten wirkte
die Gemeinschaft mit anfänglich sechs Mitgliedstaaten schon bald
nach ihrer Gründung eine große Anziehungskraft aus. Es ist
ein Teil der Erfolgsgeschichte der Idee der europäischen Integration,
daß seitdem nicht weniger als neun
Staaten der Union beigetreten
sind. Die Erweiterung der EU bis zum heutigen Stand der Entwicklungen
soll hier im Folgenden an entscheidenden Meilensteinen dargestellt werden,
um einen Einblick in die Geschichte eines vereinten Europas zu bekommen
und die anstehenden Veränderungen im Kontext mit der Vergangenheit
besser zu verstehen.
Im Jahr 1946
fordert Winston Churchill in Zürich die Gründung der "Vereinigten
Staaten von Europa" .
1951 Unterzeichnung
des Vertrages zur Gründung der "Europäischen Gemeinschaft
für Kohle und Stahl" (EGKS) durch die Bundesrepublik Deutschland,
Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande ("die
Sechs" ) in Paris
1957 "Die
Sechs" unterzeichnen die Römischen Verträge zur Gründung
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Sie treten am
1. Januar 1958 in Kraft.
Bereits 1973
treten nach relativ kurzen Beitrittsverhandlungen Großbritannien,
Irland und Dänemark der EG bei. Gleichzeitig werden zwischen
den EFTA-Staaten und der Gemeinschaft Freihandelsabkommen geschlossen.
1975 und 1977
stellen Griechenland als auch Spanien und Portugal Beitrittsanträge,
jeweils nach Einführung demokratischer Regierungssysteme dieser
Länder. Alle drei Staaten erwarteten von der Mitgliedschaft eine
stabilisierende Wirkung für ihren demokratischen Erneuerungsprozeß.
Diese Überlegung hat dann auch den Ausschlag für die Süderweiterung
gegeben, die aus wirtschaftlicher Sicht anfangs eher skeptisch beurteilt
wurden.
1981 tritt Griechenland
der EG als zehnter Mitgliedstaat bei.
Mit dem Beitritt Spaniens
und Portugals 1986 bildet sich das "Europa der Zwölf"
.
Mit der Süderweiterung
vergrößert sich das Einkommens- und Wohlstandsgefälle
zwischen den Mitgliedstaaten. Die Beitrittsländer waren noch sehr
stark landwirtschaflich orientiert - eine neue Belastung für die
ohnehin schwierige EG Agrarpolitik. Die Arbeitslosigkeit war zum Teil
hoch. Um diese Länder zu integriere waren erhebliche Anstrengungen
notwendig. Mitgliedsstaaten, die bis dahin in den Genuß der Haushaltszuwendungen
der EG gekommen waren, mußten fürchten, nun bei der Verteilung
der Mittel weniger gut abzuschneiden. Eine ähnliche Problematik sollte
sich bei der heute anstehend Osterweiterung um die MOEL wiederfinden.
Einzig das Ausmaß ist erheblich größer, da ab dem Jahr
2002/2003 voraussichtlich 11 neue Kandidaten den Weg in die Gemeinschaft
finden werden.
1987 beantragt
die Türkei den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft
1989 beginnt
die Reformbewegung in Mittel und Osteuropa. Die EU ruft das Programm
PHARE zu Unterstützung des politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozesses
ins Leben.
1990 tritt der
Staatsvertrag zur Wiedervereinigung in Kraft. Die fünf neuen
Bundesländer werden Mitglied der EG. Im gleichen Jahr stellen
Zypern und Malta Beitrittsanträge.
1991-1996 erfolgt
der Abschluß des sogenannten Europa-Abkommens, d.h. Assoziationsverträge
mit Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Rumänien, Bulgarien,
Lettland, Estland, Litauen und Slowenien.
Die Schweiz beantragt
den Beitritt zur Europäischen Union 1992 .
1993 tritt der
Vertrag über die Europäische Union (EU) tritt in Kraft.
Desweiteren beschließt der Europäische Rat in Kopenhagen,
daß die assoziierten mittel und osteuropäischen Länder
(MOEL) EU-Mitglieder werden können, sobald sie bestimmte Voraussetzungen
- die "Kopenhagener Kriterien" - erfüllen. Die politische
und wirtschaftliche Zusammenarbeit soll nunmehr der konkreten Beitrittsvorbereitung
dienen.
Die zehn assoziierten
MOEL beantragen den Beitritt zur Europäischen Union. Als erstes
Land reicht Ungarn 1994 den Antrag ein, als letztes 1996
Slowenien.
1995 treten die
ehemaligen EFTA-Staaten Schweden, Finnland und Österreich der
EU bei. Im Dezember beauftragt die Europäische Rat die Kommission
mit der Prüfung der Beitrittsanträge und der Erstellung
eines Gesamtdokuments zur Osterweiterung.
1997 wird der
Vertrag von Amsterdam ratifiziert. Die Mitgliedstaaten einigen sich
auf erste institutionelle Reformschritte im Hinblick auf die Erweiterung.
Eine grundlegende Reform der EU-Organe soll durchgeführt werden,
bevor die Zahl der Mitgliedstaaten 20 übersteigt.
Im Juli 1997
legt die Kommission die "Agenda 2000"vor. Sie enthält
die Stellungnahmen zu den Beitrittsgesuchen und eine auf dieser Grundlage
empfohlene Erweiterungsstrategie auf drei Ebenen: Europa-Konferenz
mit allen Beitrittskandidaten einschließlich der Türkei,
Erweiterungsrunde unter Einbeziehung aller zehn MOEL und Zyperns und
Bilaterale Verhandlungen mit den fünf am weitesten fortgeschrittenen
MOEL: Polen, Ungarn, Estland, Tschechien und Slowenien, sowie Zypern.
Im März 1998
findet die erste Europakonferenz in London statt der zehn MOE-Staaten
und Zyperns. Die Türkei folgt der Einladung nicht. Beginn der
bilateralen Verhandlungen mit der ersten Gruppe der Beitrittskandidaten.
Die Koordinierung der ersten Verhandlungsphase übernimmt eine
sogenannte Task Force der Europäischen Kommission.
.
3. Die Herausforderung
der Erweiterung
Der europäische Einigungsprozeß
ist nicht nur ein wirtschaftliches Konzept für Westeuropa, sondern
ein politisches Konzept für ganz Europa - und das nicht erst seit
1989, sondern seit 1951. Das Projekt der europäischen Integration
wurden vor dem Hintergrund der Erfahrung zweier Weltkriege als ein Instrument
der Friedenssicherung entworfen. Gemeinsame Wahrnehmung gemeinsamer
Interessen mittels gemeinsamer Institutionen soll zu einer immer engeren
politischen und wirtschaftlichen Verflechtung auf der Grundlage eines
immer weiter wachsenden Bestandes an Gemeinsamkeiten - dem gemeinschaftlichen
Besitzstand" oder acquis communautaire"- führen und so bewaffnete
Auseinandersetzungen unter den beteiligten Staaten unmöglich machen.
Dem widerspricht nicht, daß der Beitritt zur Union in der Regel
weniger Ausdruck eines europapolitischen Idealismus, als vielmehr einer
nüchternen Abwägung der eigenen politischen und vorallem wirtschaftlichen
Interessen ist.
10 Jahre nach dem Fall der
Mauer und des "Eisernen Vorhangs" steht die Europäische
Union somit vor ihrer größten Herausforderung. Die EU-Erweiterung
stellt die Union, ihre Mitglieder und die Beitrittskandidaten vor große
Aufgaben. Haushaltsbelastungen bei den Mitgliedstaaten und der hohe,
aber nach Ländern stark divergierende Anpassungsbedarf bei den
Beitrittskandidaten gelten als die schwerwiegensten Probleme. Wegen
des großen Gefälles zwischen West und Ost und wegen des enormen
Anpassungsbedarfs in den Beitrittsländern, aber auch innerhalb
der Europäischen Union, wird die Erweiterung als "Europas größtes
Abenteuer" bezeichnet.
Die Gemeinschaft ist ist
zwischen 1957 und 1995 in vier Schritten von 6 auf 15 Mitglieder gewachsen.
Aber noch niemals zuvor hat es auf einen Schlag eine derartige Vergrößerung
gegeben. Besonders heftiger Streit ist dort entbrannt, wo es um die
Hausaufgaben der EU selbst geht. Es müssen Lösungen gefunden
werden, die Handlungsfähigkeit der Union zu erhalten. Dazu Jacques
Santer, ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission:
"Ich gehöre nicht zu denjenigen, die glauben, die Europäische
Union könne unbegrenzt die Anzahl ihrer Mitglieder erhöhen,
ohne ihre politischen Ziele aufs Spiel zu setzen. Wir wissen aus eigener
Erfahrung, daß unsere Entscheidungsprozesse allein schon durch
die Anzahl der Beteiligten erschwert und verlangsamt werden. (...)"
Die Osterweiterung ist auch
keine Benefiz-Gala" . Es ist vorgesehen, daß die Einnahmen
der EU auch in Zukunft 1,27% des Bruttosozialprodukts der Mitgliedstaaten
nicht überschreiten dürfen. D. h. die Einnahmen werden auf
dem heutigen Stand eingefroren, die Ausgaben für die Osterweiterung
müssen an anderer Stelle eingespart werden. Wenn der Kuchen" nicht
größer wird, aber statt in 15 künftig in 20 oder gar
26 Stücke geschnitten werden soll, werden die Teile kleiner. Fast
10 Millionen Menschen sind in den beitrittswilligen Ländern im
Agrarsektor tätig; das ist mehr als in den 15 EU-Staaten zusammen,
in denen es ca. 8 Millionen Beschäftige in der Landwirtschaft gibt.
Dies hieße, ohne weitere Agrarreform wäre die EU bei einem
Beitritt schlagartig pleite.
Die Neuordnung des EU-Finanzsystems
ist aus deutscher Sicht der wichtigste Punkt, denn im deutschen Interesse
muß sicher erreicht werden, daß die erforderliche Solidarität
mit den Beitrittsländern die Nettozahlerposition Deutschlands nicht
weiter verstärkt wird. Am Grundsatz der Solidarität, daß
die Starken den Schwachen helfen, soll hier nicht gerüttelt werden.
Es muß jedoch geprüft werden, ob nicht auch andere relativ
wohlhabende Staaten neben Deutschland stärker in die Pflicht genommen
werden.
.
4. Strategie für
die Osterweiterung
4.1 Das PHARE Programm
und Europa-Abkommen
Die Einführung demokratischer
und marktwirtschaftlicher Systeme in Mittel- und Osteuropa eröffnete
neue Wege der Zusammenarbeit. Die Gemeinschaft übernahm bei der
Hilfe des Westens für die Reformstaaten eine führende Rolle.
Auf dem Pariser Wirtschaftsgipfel im Juli 1989 wurde ihr die Aufgabe
übertragen, die Hilfeleistungen der Gruppe der 24 OECD-Staaten
zu koordinieren.
Daraus entstand das sogenannte
PHARE-Programm (Poland Hungary Aid for the Reconstruction
of the Economy) der EU. Das Programm ist das wichtigste Instrument
der finanziellen und technischen Zusammenarbeit der EU für Mittel-
und Osteuropa und dient der Verwirklichung des im nachfolgenden beschriebenen
Europa-Abkommens und dessen Zielen. Es war 1989 zunächst für
Polen und Ungarn bestimmt, die damals am weitesten fortgeschrittenen
Reformstaaten. Mittlerweile wurde das PHARE-Programm auf 13 MOE-Staaten
ausgedehnt (neben den 10 assoziierten Staaten auch Albanien, Bosnien-Herzegowina
und die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, deren Übergang
zu Demokratie und Marktwirtschaft die Union fördert).
Die Vergabe von Mitteln
ist an einige grundsätzliche Bedingungen geknüpft. Neben der
schrittweise Einrichtung eines marktwirtschaftlichen Systems mußten
sich die Antragsteller zu demokratischen Basiswerten bekennen, vor allem
freie Wahlen und die Achtung der Menschenrechte waren ausschlaggebend
dafür, das einem Land Hilfe aus dem PHARE-Programm gewährleistet
wurde. Insgesamt standen für Projekte im Rahmen des PHARE-Programms
von 1990-1994 ein Etat von über 4,25 Mrd. ECU bereit.; für
1995-1999 waren weitere 6,7 Mrd. ECU geplant. Im Vergleich zu den Aufwendungen
für Irland, Griechenland, Portugal und Spanien erscheint diese
Zahlen recht bescheiden: Die vier EU-Länder erhielten 1992 etwa
15 mal soviel unentgeltliche Hilfe je Einwohner wie die MOEL. In den
zehn Jahren von 1989 bis 1999 werden damit im Rahmen von PHARE 11 Mrd.
ECU (21 Mrd. DM) für die Reformstaaten bereitgestellt.
Im Anfangsstadium stand
die volkswirtschaftliche Stabilisierung im Mittelpunkt. In einer zweiten
Phase, wie sie vor allem Polen, die Tschechische Republik, Ungarn und
Slowenien recht schnell erreichten, rückte die langfristige Umgestaltung
der Wirtschaft in den Vordergrund. So wurden Prioritäten gesetzt
bei der Unterstützung der MOEL im Bereich der Gestaltung einer
funktionsfähigen Marktwirtschaft, der Privatisierung der Staatsunternehmen,
Hilfen in den Beriechen Ausbildung und Gesundheit, in zunehmendem Maße
Investitions- und Strukturhilfen, und seit 1993 auf den Ausbau der Infrastruktur
und Unterstützung in Umweltfragen.
Im September 1990 schlug
die Europäische Kommission vor, mit den Staaten, die in der praktische
Umsetzung politischer und wirtschaftlicher Reformen bereits fortgeschritten
waren Assoziierungsabkommen abzuschließen, Europa-Abkommen genannt.
Verhandlungen wurden im Dezember 1990 zunächst mit Polen, der damaligen
Tschechoslowakei und Ungarn aufgenommen. Es folgten bis 1996 Europa-Abkommen
mit Rumänien, Bulgarien (1993), den baltischen Staaten(1994) und
Slowenien(1996). Diese Assoziationsvertäge sind zunächst einmal
Wirtschaftsabkommen. Ihren Schwerpunkt bilden Vereinbarungen im Bereich
der Handelsliberalisierung. Diese Handelsvereinbarungen sahen Übergangsregelungen
i.d.R. im Zeitraum von 10 Jahren vor, die zugunsten der MOE-Partner
asymmetrisch gestaltet waren. Die Erfolge der Freihandelspolitik lassen
sich mit Zahlen belegen: Wickelten die MOE-Länder vor 1989 gerade
20 % ihres Handels mit der Union ab, so ist dieser Anteil bis 1994 auf
ungefähr 50%, mit der Erweiterung der Union 1995 auf etwa 60 %
gestiegen - ihr Handel mit den USA hält einen Anteil von nur 5,
der mit Japan gerade 2%. Das Herzstück der Europa-Abkommen ist
die Vorbereitung der Assoziierten auf die Teilnahme am Europäischen
Binnenmarkt. Wesentliche Fortschritte sind neben den zunehmenden Handelsverflechtungen
auch bei der Liberalisierung des Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehrs
sowie bei der rechtlichen Angleichung an die Gemeinschaft erzielt worden.
.
4.2 Die "Kopenhagener
Kriterien"
Das Bestreben der Reformstaaten
nach politischer und wirtschaftlicher Anbindung führte - wie beschrieben
- zum Aufbau enger Beziehungen, noch bevor der Europäische Rat
auf seiner Kopenhagener Tagung im Juni 1993 Entscheidungen von grundsätzlicher
Bedeutung für die Zukunft Europas fällte. Die Staats- und
Regierungschefs kamen überein, daß ein Beitritt der MOE-Partnerstaaten,
die dies wünschten, grundsätzlich in Frage komme. Im Hinblick
auf deren besondere Situation inmitten des Reformprozesses konkretisierte
der Europäische Rat von Kopenhagen die Beitrittsbedingungen durch
die Festlegung politischer und wirtschaftlicher Kriterien. Darin heißt
es: "als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muß der Beitrittskandidat
eineinstitutionelle
Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche
Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung
und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben;
sie erfordert ferner
eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit,
dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union
standzuhalten;
die Mitgliedschaft setzt
ferner voraus, daß die einzelnen Beitrittskandidaten die aus
einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen übernehmen
und sich auch die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts-
und Währungsunion zu eigen machen können".
Die Botschaft von Kopenhagen
war eindeutig: Das seit Gründung der Gemeinschaft geltende Prinzip
der Offenheit für die Beitrittswünsche anderer Staaten, das
im Artikel 0 des Vertrages über die Europäische Union verankert
ist, sollte weiterhin uneingeschränkt gelten, die Stoßkraft
der europäischen Integration nach innen dabei jedoch erhalten bleiben.
Die Kommission befürwortet
eine intensivierte Heranführungsstrategie zur Vorbereitung der
nächsten EU-Erweiterung. Ziel ist es, den Ländern Mittel-
und Osteuropas ein kohärentes Programm zur Vorbereitung auf den
EU-Beitritt anzubieten. Die Heranführungsstrategie wendet sich
dabei an alle Beitrittskandidaten - ungeachtet ihrer jeweiligen aktuellen
Situation und des Zeitpunkts, zu dem sie der Union beitreten werden.Nur
wenn die MOEL vom Zeitpunkt ihres Beitritts an sowohl die Pflichten
als auch die Rechte der Mitgliedschaft in vollem Umfang übernehme
können, wird die Union als Ganzes eine Stärkung erfahren.
Da die Übernahme des
gemeinschaftlichen Besitzstandes an Verträgen und Rechtsakten,
des sogenannten "Acquis communautaire" , Grundlage eines jeden
Beitritts ist, will die Heranführungsstrategie zur Lösung
der wichtigsten Probleme in diesem Bereich beitragen. So sollen neben
einer Anpassung des privatwirtschaftlichen Sektors auch die institutionellen
und administrativen Kapazitäten der beitrittswilligen Länder
verstärkt werden. Die Eckpfeiler dieser Heranführungsstrategie
bilden die Europa-Abkommen und das PHARE-Programm.
.
4.3 Die Agenda 2000
Mit Beginn seiner Amtszeit
im Januar 1995 hat der ehem. Präsident Jacques Santer der Europäischen
Kommission zwei Hauptziele gestellt:
Stärkung der Union
und
Vorbereitung der Erweiterung
Am 16. Juli 1997 legte er dem
Europäischen Parlament das Dokument AGENDA 2000 vor - ein detailliertes
Strategiepapier der Kommission für die Stärkung und Erweiterung
der Union in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts. Mit der Agenda 2000
präsentiert die Kommission einen "Konstruktionsplan" , in
dem die Einzelheiten für den Ausbau des Europäischen Hauses
nach Osten und Süden enthalten sind. Er enthält eine Bestandsaufnahme
der Gemeinschaftspolitik, eine Analyse der Beitrittsfähigkeit der
Kandidatenländer, sowie eine Darstellung der notwendigen Reformen
und eine finanzielle Vorausschau bis zum Jahr 2006. Darin soll erläutert
werden, in welcher Weise die Kommission die verschiedenen Beitrittsanträge
geprüft hat, welche Hauptprobleme diese Anträge aufwerfen und
welcher Zeitplan für die Eröffnung der Verhandlungen am realistischsten
erscheint. Er enthält die wichtigsten Schlußfolgerungen und
Empfehlungen der Stellungnahmen sowie die Ansichten der Kommission über
die Einleitung des Beitrittsverhandlungsprozesses. Diese Schlußfolgerungen
und Empfehlungen stützen sich auf die Kriterien, die vom Europäischen
Rat in Kopenhagen im Juni 1993 festgelegt wurden.
In der 1.300 Seiten umfassenden
Mitteilung der Kommission wird der Stand der Vorbereitung der 10 Länder
Mittel- und Osteuropas, die einen Beitrittsantrag gestellt haben, detailliert
bewertet und vorgeschlagen, Beitrittsverhandlungen mit Ungarn, Polen,
Estland, der Tschechischen Republik und Slowenien aufzunehmen. Diese
Staaten kommen der Erfüllung der vom Europäischen Rat auf
dessen Tagung im Juni 1993 in Kopenhagen vorgegebenen Kriterien am nächsten.
Die Verhandlungen mit ihnen haben Anfang 1998 begonnen. Hinzu kommt
Zypern, zu dessen Antrag die Kommission bereits eine befürwortende
Stellungnahme abgegeben hatte. Die ersten Betritte könnten schon
2001 erfolgen. In der AGENDA 2000 wird jedoch als wahrscheinlicherer
Termin das Jahr 2003 und ein Zeitraum von 10 Jahren, mit Beitritten
in mehreren Etappen genannt.
In der Zwischenzeit bleibt
die Tür für Bulgarien, Rumänien, Lettland, Litauen und
die Slowakei offen. Diese Staaten werden zur Teilnahme an Partnerschaften
mit der EU aufgefordert werden, so daß ihre Vorbereitungen auf
eine Mitgliedschaft beschleunigt werden können. Präsident
Santer sagte dazu: "(...) diese Beitrittsanträge würden
nicht abgewiesen. Im Gegenteil. Alle Bewerberländer seien weiter
aufgefordert, vollberechtigte Mitglieder zu werden. (...)"
In der AGENDA 2000 wird
klargestellt, daß für die jetzigen 15 Mitgliedstaaten erhebliche
Mehrkosten entstehen, wobei diese sich auf einen längeren Zeitraum
verteilen werden. Die Kommission geht von einem Gesamtbetrag von 75
Mrd. ECU (ca. 150 Mrd. DM) im Zeitraum 2000 bis 2006 aus, einer Art
"Marshallplan für die Länder Mittel- und Osteuropas" ,
wie Präsident Santer sagte. Dennoch wird es nach Auffassung der
Kommission nicht erforderlich sein, die Obergrenzen von 1,27 % der Bruttosozialprodukte
für die Einnahmen der Union, die sogenannten Eigenmittel, zu erhöhen.
Hierbei geht man von einem BIP-Wachstum von 2,5 % p.a. in den EU-Mitgliedstaaten
und 4 % p.a. in den Beitrittsländern aus. Zur Struktur- und Agrarpolitik
enthält die Agenda 2000 ebenfalls Reformvorschläge, die darauf
abzielen, die Finanzierungsfähigkeit zu erhalten, denn ca. 80%
aller Ausgaben der Union entfallen auf die Agrar und Strukturpolitik.
AGENDA 2000 enthält
eine dreifache Herausforderung für die Union:
Wie können die
Politiken der Union so gestärkt und reformiert werden, daß
die Erweiterung möglich und Wachstum, mehr Beschäftigung
und bessere Lebensbedingungen für die Bürger Europas geschaffen
werden?
Wie können die
Beitrittsverhandlungen geführt und gleichzeitig die Beitrittskandidaten
wirksam auf den Betritt vorbereitet werden?
Wie können die
Erweiterung, die Vorbereitungen auf die Erweiterung und der Ausbau
der internen Politikbereiche der Union finanziert werden?
Natürlich muß
jedes Land die notwendigen Aufbau- und Anpassungsleistungen auf dem
Weg in die Union weiterhin selbst erbringen, doch wird die Gemeinschaft
diesen Prozeß durch ein intensiviertes Programm der technischen,
organisatorischen und finanziellen Hilfe unterstützen. Hier gibt
es im wesentliche zwei Intensivierungen der Heranführungsstrategie:
Zum einen die Beitrittspartnerschaften:
Dieses Instrument faßt alle Formen der Unterstützung für
die mittel- und osteuropäischen Bewerberländer in einem einzigen
Gesamtrahmen zusammen. Dazu gehören:
präzise Verpflichtungen
seitens des Bewerberlandes in bezug auf Demokratie, makroökonomische
Stabilisierung und nukleare Sicherheit;
ein nationales Programm
zur Übernahme des acquis mit einem genauen Zeitplan und konzentriert
auf die in den Stellungnahmen der Kommission genannten vorrangigen
Bereiche;
Bereitstellung aller
verfügbaren Mittel der Gemeinschaft zur Vorbereitung der Bewerberländer
auf den Beitritt;
die Mittel kommen bisher
vorrangig aus dem Programm PHARE, in Frage kommen aber auch neue Formen
der Unterstützung.
Zum zweiten eine alljährliche
Europa-Konferenz. Am 12. März 1998 kamen die Staats- und
Regierungschefs der 15 und 11 ihrer Amtskollegen aus den beitrittswilligen
Ländern erstmals zusammen. Die Türkei lehnte die Einladung
zu diesem Treffen ab, doch ist ihre Teilnahme an der Konferenz weiterhin
möglich.
Mit Spanien und Portugal,
zum Beispiel, haben die Verhandlungen 71/2 Jahre gedauert. Und dabei
ging es nur um die Integration von Volkswirtschaften, die bereits marktwirtschaftlich
organisiert waren. Die Integration der ehemaligen zentralen Verwaltungswirtschaften
der MOE-Staaten in den hochentwickelten europäischen Binnenmarkt
ist daher ohne Beispiel.
Verhandelt wird nicht über
das Ziel der Integration, sondern nur über den Teil der Strecke,
die zum Zeitpunkt des Beitritts zurückgelegt sein muß und
den Teil der nach dem Beitritt noch zu gehen ist.
.
5. Die "Warteschlange"
und der Status quo der Beitrittskandidaten
Der Europäische Rat
stellte in Kopenhagen fest, daß die Mitgliedschaft im wirtschaftlichen
Bereich "eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit
(erfordert), dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb
der Union standzuhalten".Die Beitrittskandidaten haben beim Übergang
zur Marktwirtschaft beachtliche Fortschritte erzielt, u.a. bei der Privatisierung
und Liberalisierung, auch wenn sich ihre wirtschaftliche Lage sehr unterschiedlich
darstellt. Für alle war der Zusammenbruch des früheren kommunistischen
Handelsblocks im RGW und der Beginn der Marktreformen zunächst
ein großer Schock. In manchen Fällen wurde dies aber noch
durch ernste anfängliche Ungleichgewichte verschärft, während
andere Länder vergleichsweise stabile Bedingungen und einen höheren
Lebensstandard aufwiesen. Überdies handelte es sich bei der Hälfte
der beitrittswilligen Länder um Staaten, die erst staatliche Institutionen
neu schaffen und gleichzeitig ihre Wirtschaft von Grund auf reformieren
mußten.
Auch wenn fast alle Beitrittskandidaten
in den letzten Jahren wesentlich vorangekommen sind und oftmals hohe
Wachstumsraten aufzuweisen haben, sind die Wirtschaftsbedingungen in
mehreren Ländern doch nach wie vor wenig gefestigt. Das durchschnittliche
Pro-Kopf-BIP der beitrittswilligen Länder macht nur etwa ein Drittel
des entsprechenden Wertes der Europäischen Union aus. Manche Beitrittskandidaten,
und keineswegs nur die mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen, haben
in den letzten Jahren ein jährliches BIP-Wachstum von 5 - 7 % vorzuweisen,
während andere aus verschiedenen Gründen zurückblieben.
Manche haben eine hochgradige Preisstabilität und nahezu ausgeglichene
Haushalte erreicht, während andere hohe und/oder zunehmende Handelsbilanzdefizite
infolge von Investitions- wie auch Konsumgütereinfuhren aufweisen.
Die Umstrukturierung staatlicher Großunternehmen, die die heimische
Wirtschaft dominieren und aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen
nur sehr schwer zu reformieren sind, steht in den meisten beitrittswilligen
Ländern noch aus. Keines der beitrittswilligen Länder erfüllt
die beiden in Kopenhagen festgelegten ökonomischen Bedingungen
schon heute in vollem Umfang, doch dürften manche Länder in
einigen Jahren so weit sein.
Die Agenda 2000 brachte
hier Ordnung in die unübersichtliche Warteschlange vor den Pforten
der EU. Die Schlange ist jetzt klar strukturiert, sie hat einen Kopf,
einen Mittelteil und einen Schwanz. Vorne befindet sich ein Kreis von
sechs Ländern, mit denen die Europäische Union seit April
1998 konkret über die Mitgliedschaft verhandelt. Es sind Polen,
Ungarn, Tschechien, Estland, Slowenien und Zypern. In der zweiten Reihe
sind fünf Länder, denen die EU eine Beitrittsperspektive einräumt:
Bulgarien, Lettland, Litauen, Slowakei und Rumänien. Diese Länder
haben bei entsprechenden Fortschritten die Chance, in die Kopfgruppe
aufzuschließen. Am hinteren Teil der Warteschlange befinden sich
Länder, deren Beitrittsanträge derzeit auf Eis liegen. Dazu
gehören so unterschiedliche Länder wie die Schweiz, die Türkei
oder Malta. Während es in der Schweiz derzeit noch am politischen
Willen der Bürger fehlt, ist die Türkei durch ihre Menschenrechtsverletzungen,
das nicht gelöste Kurdenproblem und die Zypernfrage auf das Wartegleis
gestellt.
Die von den Kommissionsdienststellen
in den Stellungnahmen durchgeführte Analyse ergab folgendes Gesamtbild:
Die Handelsverflechtung
hat in den meisten Ländern und die ausländischen Direktinvestitionen
haben in einigen Ländern erheblich zugenommen. Allerdings wurde
die anfängliche Liberalisierung des Handels in einigen Ländern
vor allem aus makroökonomischen Gründen teilweise wieder
rückgängig gemacht.
Die Kapitalmärkte
und Wettbewerbsvorschriften funktionieren überall immer besser,
aber allgemein noch lange nicht zufriedenstellend.
Die Infrastruktur ist
weiterhin in schlechtem Zustand.
Die Löhne liegen
noch deutlich unter Unionsniveau.
Die Privatisierung schreitet
in unterschiedlichem Tempo voran und ist noch abzuschließen.
Als erstes wirtschaftliches
Kriterium hat der Europäische Rat in Kopenhagen gefordert, daß
eine funktionsfähige Marktwirtschaft bestehen muß. Dies wiederum
setzt voraus, daß verschiedene Bedingungen erfüllt sind,
auf die in den einzelnen Stellungnahmen näher eingegangen wird:
Angebot und Nachfrage
müssen durch das freie Spiel der Marktkräfte ausgeglichen
werden; Preise und Außenhandel müssen liberalisiert sein;
es darf keine nennenswerten
Schranken für den Marktzugang (Errichtung neuer Unternehmen)
und das Ausscheiden aus dem Markt (Konkurs) geben;
das Rechtssystem einschließlich
der Regelung der Eigentumsrechte muß vorhanden sein; Gesetzen
und Verträgen muß gerichtlich Geltung verschafft werden
können;
makroökonomische
Stabilität einschließlich einer angemessenen Preisstabilität
und tragfähiger öffentlicher Finanzen und Zahlungsbilanzen,
muß erreicht sein;
Nach Auffassung der Kommission
können sechs (Tschechische Republik, Estland, Ungarn, Polen und
Slowenien sowie Zypern) als funktionsfähige Marktwirtschaften betrachtet
werden, auch wenn in sämtlichen Fällen manche wichtige Merkmale
wie z.B. Kapitalmärkte noch reifen und weiterentwickelt werden
müssen. Ein siebter Beitrittskandidat (Slowakei) kommt nach Gesetzgebung
und Systemmerkmalen diesen Bedingungen sehr nahe. Die übrigen beitrittswilligen
Länder haben substantielle Fortschritte erzielt, vor allem in letzter
Zeit, und dürften in der Lage sein, dieses erste wirtschaftliche
Kriterium zu einem frühen Zeitpunkt im nächsten Jahrhundert
zu erfüllen. Für diese Länder besteht die Hauptaufgabe
nunmehr darin, ihre rechtlichen und institutionellen Reformen verstärkt
umzusetzen und der Gefahr weiterer makroökonomischer Instabilität
vorzubeugen.
Das zweite wirtschaftliche
Kriterium ist die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften
innerhalb der Europäischen Union standzuhalten. Dies setzt voraus,
daß die wichtigsten Teile der Volkswirtschaften der beitrittswilligen
Länder ein Minimum an Wettbewerbsfähigkeit erreicht haben.
Die notwendige Evaluierung ist schwieriger als beim ersten Kriterium.
Einerseits muß eine umfassende Betrachtung unter Berücksichtigung
einer erheblichen Anzahl von Faktoren angestellt werden. Andererseits
sind künftige Entwicklungen abzuschätzen. Eine zentrale Frage
besteht darin, ob die Unternehmen über die erforderliche Anpassungsfähigkeit
verfügen und ihr Umfeld eine weitere Anpassung begünstigt.
Zu berücksichtigen ist dabei u.a.:
ob eine funktionsfähige
Marktwirtschaft mit einem ausreichenden Grad an makroökonomischer
Stabilität besteht, so daß die Wirtschaftsteilnehmer ihre
Entscheidungen in einem Klima der Stabilität und Berechenbarkeit
treffen können;
ob Human- und Sachkapital
einschließlich Infrastruktur (Energieversorgung, Telekommunikation,
Transport usw.), Bildungswesen und Forschung in ausreichendem Maße
zu angemessenen Kosten vorhanden ist und welche künftigen Entwicklungen
in diesem Bereich zu erwarten sind;
Grad und Tempo der Handelsverflechtung
mit der Europäischen Union, die ein Land bereits vor der Erweiterung
erreicht hat. Dies gilt sowohl für das Volumen als auch die Art
des Warenverkehrs mit den Mitgliedstaaten;
der Anteil der Kleinunternehmen,
zum Teil deswegen, weil Kleinunternehmen der Tendenz nach stärker
von einem verbesserten Marktzugang profitieren, und zum Teil auch,
weil bei Dominanz von Großunternehmen die Bereitschaft zu Anpassungen
möglicherweise geringer ist.
.
6. Gesamtwirtschaftliche
Auswirkungen
Einen wirtschaftlichen Nutzen
aus der Erweiterung verspricht man sich von der Ausdehnung des Binnenmarktes,
von dem allgemeinen Integrationsprozeß sowie von der Stärkung
der Stellung der Europäischen Union auf den Weltmärkten. Das
Humankapital der Europäischen Union wird erheblich bereichert,
nicht zuletzt durch qualifizierte und hochqualifizierte Arbeitskräfte.
Die beitrittswilligen Länder verfügen über bedeutende
natürliche Ressourcen (landwirtschaftliche Flächen, bestimmte
Mineralien, Artenvielfalt usw.). Für Verkehr, Energietransit und
Kommunikation wird ihre geographische Lage ein Pluspunkt sein. Die Integration
in die Europäische Union wird der Wirtschaftsentwicklung dieser
Länder kräftige Impulse geben. Umfangreiche Investitionen
in Verbindung mit der radikalen Modernisierung der Wirtschaft der beitretenden
Länder und ihr Aufholprozeß gegenüber dem Lebensstandard
in der EU werden die Nachfrage in der gesamten Union anregen und die
Wettbewerbsfähigkeit stärken.
6.1 Potentielle
Wirtschaftliche Vorteile
Die wirtschaftlichen Vorteile
der Erweiterung werden in erster Linie von den Bedingungen abhängen,
unter denen der Binnenmarkt erweitert wird, was wiederum von den Fortschritten
abhängt, die die assoziierten Länder selbst bis zum Beitritt
bei der Angleichung ihrer Rechtsvorschriften und ihrer Praxis an die
der EU erzielen können. Die wirtschaftlichen Vorteile werden auch
von angemessenen Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastrukturen
und -netzen in den beitrittswilligen Ländern abhängen, die
zur Bewältigung der infolge der Integration verstärkten Handels-
und Wirtschaftstätigkeit notwendig sind. Die wirtschaftlichen Auswirkungen
der Erweiterung werden auf längere Sicht für die Europäische
Union zweifellos von Vorteil sein. Durch die Erweiterung wird ein größerer
Wirtschaftsraum mit bis zu 500 Millionen Verbrauchern gegenüber
heute 370 Millionen geschaffen. Liberalisierte Faktor- und Gütermärkte,
gemeinsame Spielregeln und letzten Endes eine gemeinsame Währung
werden eine bessere Allokation der Ressourcen und die Nutzung von Größenvorteilen
möglich machen. Dies könnte ein Szenario mit höherem
Wachstum und niedrigerer Inflation für den gesamten Raum herbeiführen
und die Wettbewerbsstellung der EU in der Welt verbessern.
Im allgemeinen dürfte
der erweiterte Binnenmarkt substantielle neue Produktions- und Beschäftigungsmöglichkeiten
bieten. Die Öffnung der beitrittswilligen Länder hat bereits
zu rasch wachsenden Handelsbeziehungen geführt. So hat sich der
Wert ihres Handels mit der Gemeinschaft im Zeitraum 1989-95 mehr als
verdreifacht.
Als wichtigster Handelspartner
innerhalb der EU exportierte Deutschland allein im ersten Halbjahr 1997
für rund 16,3 Mrd. ECU Waren in die Beitrittsstaaten, in umgekehrter
Richtung floß ein Handelsstrom im Wert von 12,9 Mrd. ECU. Zur
Zeit sind die Handelsverflechtungen von der EU der 15 aus gesehen jedoch
noch eher marginal. Über die Hälfte der Exporte der Reformstaaten
gehen in die EU, nicht einmal 1/25 der EU-Exporte geht in die Reformstaaten.
Dies zeigt, daß die Beziehung in höchstem Maße einseitig
ist, und daß bedeutende Folgen im Außenhandel - zumindestens
im Zeitpunkt der Beitritte - für die EU als Ganzes, recht unwahrscheinlich
sind.
Die weitere Integration
und die Erweiterung werden in Zukunft dazu beitragen, daß das
rasch ansteigende Einkommen der mittel- und osteuropäischen Länder
in ein anhaltendes rasches Wachstum der westeuropäischen Exportmärkte
umgesetzt wird.
Das Erscheinen neuer und
wettbewerbsfähiger Lieferanten aus Osteuropa am Markt wird auch
dämpfend auf die Input-Preise für die Schlüsselindustrien
und -Dienstleistungsbereiche wirken und damit die Kosten senken oder
in Grenzen halten und die weltweite Wettbewerbsfähigkeit dieser
Wirtschaftszweige verbessern. Infolge der stärkeren Integration
dürfte der Wettbewerb auf den Faktor- (Arbeit) und Gütermärkten
schärfer werden. Dies wiederum könnte den Preisauftrieb in
Grenzen halten und damit eine stabilitätsorientierte Geldpolitik
mit relativ niedrigen Zinsen erleichtern, was wiederum das Wachstum
begünstigt.
Da der öffentliche
und private Kapitalstock in Osteuropa modernisiert und eine gesamteuropäische
Infrastruktur aufgebaut werden muß, dürften Investitionsausgaben
angeregt werden. Die Transferzahlungen zugunsten der neuen Mitgliedsstaaten
werden die dortige Importnachfrage steigern, wovon wiederum die Wirtschaftsakteure
in den westlichen Nachbarländern profitieren. Die Kosten für
die Integration der MOE-Staaten werden damit zu Investitionen, die neue
Chancen für die Wirtschaft Europas eröffnen.
Insgesamt gesehen stehen
jedenfalls im kurz- und mittelfristigen Bereich eher Vorteile im Bezug
auf politische und militärische Stabilität der Reformstaaten
im Vordergrund. Die Ostflanke der Union wird gesichert. Dadurch wird
eine bessere Kontrolle der Pufferzone zwischen den westeuropäischen
Kernländern und den potentiell instabilen post-sowjetischen Republiken
ermöglicht.
.
6.2 Problembereiche
und Risiken
Die Osterweiterung unterscheidet
sich von der letzten Erweiterung dadurch, daß die beitrittswilligen
Länder in einem Aufholprozeß stehen. Zu den größten
Herausforderungen der Erweiterung gehören daher: Das niedrige Pro-Kopf-Einkommen
der Beitrittskandidaten, das große Gewicht, das Landwirtschaft
und die sogenannten sensitiven Sektoren in diesen Volkswirtschaften
haben, die unzulänglichen Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastrukturen
und Netze und ihre schwache Verwaltungskapazität. Überdies
erschwert die hohe Arbeitslosigkeit sowohl in der EU als auch in den
meisten beitrittswilligen Ländern den potentiellen Verlierern des
Anpassungsprozesses auf sektoraler und regionaler Ebene die Suche nach
einem neuen Arbeitsplatz. Ein substantielles Lohngefälle zwischen
West und Ost ist trotz der hohen Arbeitslosigkeit in Westeuropa ein
starker Anreiz zu Abwanderungen von Osten nach Westen. Auf der einen
Seite könnte dies den bereits eingeleiteten Prozeß der Flexibilisierung
der Arbeitsmärkte zumal in angrenzenden Ländern wie Deutschland,
Österreich, Griechenland oder den skandinavischen Ländern
beschleunigen. Rund eine Millionen neue Arbeitsplätze sind bis
heute auf die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes zurückzuführen.
Dennoch besteht die Befürchtung, daß die Erweiterung angesichts
des beträchtlichen Lohngefälles zwischen Ost und West negative
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben wird. Unternehmen könnten
aus Kostenerwägungen Arbeitsplätze in die neuen Mitgliedstaaten
verlegen, und die Freizügigkeit, eine der Grundfreiheiten des Binnenmarktes,
könnte zu einem Zustrom von Arbeitskräften aus Mittel- und
Osteuropa führen.
Trotzdem der Anpassungsdruck
am unteren Ende der Lohnskala am größten sein wird, könnte
es jedoch auch zu einem Zustrom hochqualifizierter Arbeitskräfte
kommen, der gewisse Angebotsengpässe in diesem Segment des Arbeitsmarktes
verringern könnte.
Der weithin erwartete massive
Zustrom von Arbeitskräften aus Griechenland, Spanien und Portugal
nach dem Beitritt dieser Länder ist in Wirklichkeit niemals eingetreten.
Allerdings läßt
sich absehen, daß mit der Erweiterung der Anpassungsdruck auf
bestimmte Regionen und Wirtschaftszweige zunehmen wird - mit negativen
Folgen für die Beschäftigungslage sowohl in den Beitrittsländern
als auch in den derzeitigen Mitgliedstaaten. Zu solchen sensiblen Sektoren
zählen etwa die Landwirtschaft, die Kohle- und Bergbauindustrie
und die Textilwirtschaft.
Durch die Erweiterung würde
der Markt für europäische Agrarprodukte ausgedehnt. Im Rahmen
der Europa-Abkommen sind Agrarerzeugnisse nach wie vor stärker
geschützt als Industriewaren. Durch die Beseitigung der noch bestehenden
Handelsschranken würde somit der Handel mit Grundstoffen und Verarbeitungserzeugnissen
der Nahrungsmittelindustrie gesteigert, was die wirtschaftliche Wohlfahrt
in der EU insgesamt vergrößern könnte.
Die größten Nachteile
der MOE-Staaten beim Beitritt zur EU der derzeit 15 Mitglieder liegen
im Eintritt in einen offenen Wettbewerb mit technologisch weiter fortgeschrittenen
Produzenten auf allen Märkten. Auch werden die mitteleuropäischen
Märkte für internationale Wirtschaftsakteure geöffnet.
Dies kann dazu führen, daß die MOEL permanent von internationalem
Kapital dominiert werden.
.
7. Konsequenzen
und Schlußfolgerung zur EU-Osterweiterung
Wie sich die Erweiterung
mittelfristig auf die Kohäsionsländer in der heutigen EU auswirken
wird, ist höchst ungewiß. Die einzelnen Länder und Regionen
werden je nach ihrer Wettbewerbsfähigkeit in unterschiedlicher
Weise davon betroffen sein. Man sollte sich vor einer über Gebühr
pessimistischen Einschätzung der Anpassungsbelastungen für
die weniger entwickelten Regionen der derzeitigen EU hüten; ähnliche
Befürchtungen, die seinerzeit beim Beitritt Spaniens und Portugals
geäußert wurden, stellten sich später als übertrieben
heraus. Der wirtschaftliche Schwerpunkt der Gemeinschaft wird sich nach
Osten verlagern, was auch gewisse Folgen für die Standortentscheidungen
der Unternehmen, in erster Linie infolge ihres Zugangs zu neuen Märkten,
aber auch in Form von Standortverlagerungen aus Kostenerwägungen
haben wird. Von der geographischen Lage her befinden sich die Beitrittskandidaten
im allgemeinen in einer günstigen Situation. Sie dürften sich
daher in einer guten Ausgangsposition befinden, um von ihren komparativen
Vorteilen wie niedrigen Lohnstückkosten und niedrigen Transportkosten
infolge der Nähe zu den wichtigsten Märkten der EU zu profitieren,
sofern die erforderliche Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung steht.
"Was kostet die Erweiterung?"
Diese Frage stellt sich, wenn es um die Osterweiterung der EU geht.
Weit weniger häufig wird die komplementäre Frage gestellt:
Was bringt uns die Erweiterung?"
Das Nullsummenspiel geht
von der Annahme aus: Was der eine bekommt, muß einem anderen genommen
werden. Wenn es kein Wachstum gäbe, sondern nur eine ewig konstante
Summe, die nicht durch Arbeit, Zusammenarbeit, Ideen, Innovationen und
Investitionen vergrößert werden könnte, so wäre
diese Annahme richtig.
"Wer nur an die Saatkosten
denkt und nicht an die Ernteerträge, der verkennt die Wirkkräfte
des Wachstums." Dieses Denken erzeugt Besitzstandsängste und
führt zu einem Mangel an zukunftssichernden Investitionen. In ähnlicher
Weise wird eine zukunftsorientierte Politik durch Gegenwartbesessenheit"
und Eintagsfliegenmantalität" behindert. Eine Kurzfristorientierung,
die Saat und Ernte auf eine Zeitpunkt zusammenlegen will, verkennt die
Notwendigkeit der Reifezeit und somit die Voraussetzungen erfolgreicher
Investitionen.
Europäische Integration
und EU-Erweiterung sind Investitionen für die Zukunft Europas.
Die erwünschten und zu erwartenden Ergebnisse sind Frieden, Freiheit,
Stabilität und Sicherheit und nicht zuletzt auch sozialökonomisches
Wachstum.
Auf die sozialökonomischen
Chancen der politischen und wirtschaftlichen Investitionen hat der schottische
Staatsdenker Adam Smith schon vor mehr als 200 Jahren hingewiesen. In
seiner großen Untersuchung über die "Ursachen des Wohlstands
der Nationen" schrieb er: "Ein wohlhabender Mann ist wahrscheinlich
ein besserer Kunde für die arbeitsamen Leute in seiner Nachbarschaft
als ein ärmerer; genau das gleich gilt auch für ein reiches
Land".
Bei der Vermeidung der Irrtümer
des Nullsummenspiels und der Kurzfristorientierung kann somit festgestellt
werden: Die Rechnung stimmt! Die richtige Erweiterung der Europäischen
Union lohnt sich für alle Europäer und schafft wichtige Voraussetzungen
für ein menschenwürdiges Leben im 21. Jahrhundert.
.
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Herausforderung, in: Die Erweiterung der Europäischen Union, Bonn
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aus dem Internet: http://europa.eu.int/comm/dg1a/dwn/agenda2000/down.htm
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o.V.
Die Erweiterung der Europäischen
Union, Informationsblatt der Europäischen Kommission, Bonn 1998
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zitiert aus dem Internet:
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Turek, J.
Die Zukunft Europas im globalen
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Wagener, H.J./Fritz, H.
(Hrsg.)
Im Osten was Neues: Aspekte
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Wiehler, F.
Die Erweiterung der Europäischen
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Wielgoss, T.
Die Europäische Union
vor ihrer ersten Osterweiterung: Vorbereitung, Probleme und Konsequenzen,
Berlin 1997
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